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Angst verstehen - Angst auflösen - Wieviel Angst ist wirklich nötig?

 

Wer will nicht glücklich sein?  -  Ein großes Hindernis bei der Suche nach unserem Lebensglück ist die Angst, die uns immer wieder in die Enge treibt und die uns daran hindert, unser Leben kraftvoll zu entfalten. Verfolgt man statistische Untersuchungen, kann man erkennen, dass sehr viele Ängste unter der Oberfläche des Alltags verborgen liegen und von dort ihre Wirkung entfalten.
Neben den Urängsten, wie z.B. der Angst vor dem Fremden und Unbekannten, dem Neuen, vor der Zukunft hat gerade unsere komplexe Zivilisation eine ganze Reihe von neuen Ängsten hervorgebracht, die es in früheren Jahrhunderten nicht gab: Versagensängste in den verschiedensten Bereichen, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes; Angst, den vorgegebenen Lebensstandard nicht halten oder den beruflichen Anforderungen nicht mehr Folge leisten zu können;  Angst einem körperlichen Schönheits- oder einem sozialem Leistungsideal nicht zu entsprechen. Nicht wenige haben Angst vor dem Scheitern der Partnerschaft, da wir von ihr heute mehr erwarten und fordern als in früheren Generationen. In größerem Rahmen findet sich Angst vor wirtschaftlichen Krisen, vor Krankheiten insbesondere Krebs, Aids; Angst vor Terrorismus, vor Atomkraft. Inzwischen kommen neue globale Ängste hinzu: Die Angst davor, was der Klimawandel auf die Dauer mit sich bringt, und die Angst vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus.

 
Ganz gewiss ist Sorge in Anbetracht verschiedener Entwicklungen in der Welt angebracht. Sorge, die uns wachsam sein oder werden lassen sollte, aber Angst? - Hilft sie weiter? 

 

Ängste werden auch durch die Medien geschürt durch die Vorliebe für Negativmeldungen. Ebenso durch die Werbung,  z.B. durch Hinweise auf neueste Forschungsergebnisse, die alte, bisher als abgesichert angepriesene Erkenntnisse ablösen. Diese „Neumeldungen“  enthalten in ihrer betonten Dringlichkeit häufig subtil einen Unterton von Bedrohung, oft mit dem Ziel, dass weitere Medikamente, weitere Versicherungen, vermeintlich noch bessere und sichere Produkte gekauft werden sollten. 

 

Angst besteht nicht nur in der Bevölkerung sondern auch bei den Politikern, vorallem vor dem Verlust des errungenen Wohlstandes.  Angst blockiert die Bereitschaft des Sich-Einlassens auf neue und ungewohnte Ansätze und Möglichkeiten, die zu einem Wandel hin zu nachhaltig Besserem führen könnten; die sowohl dem persönlichen Leben als auch dem gesellschaftlichen System gut täten und Ungleichgewichte, Ungerechtigkeiten und Missstände beseitigen würden.

Angst vor Wandel beinhaltet Angst vor Risiko. Lieber bewahrt man das Alte. Da weiß man, was man hat, auch wenn es nicht angenehm ist.

 

Das Wort 'Angst' stammt von 'Enge'. Angst verursacht eine innere Gefühlsenge, die dazu führt, dass man sich auch äußerlich in die Enge getrieben fühlt. Genauer gesagt, das Gefühl der inneren Enge führt dazu, dass wir unsere Lebensaktivitäten einschränken und dadurch unsere Lebenserfahrungen reduzieren und und unsere Lebenskreise einengen.

 

Das Wahrnehmen der eigenen inneren Stärke, die jeder besitzt. der sich jedoch die Wenigsten bewusst sind, ist eines der wirksamsten Mittel gegen die Angst. Angst hat damit zu tun, dass wir uns nicht stark und mächtig genug fühlen, um mit einer Situation umgehen zu können.

 

Angst folgt einem Mechanismus und hat generell mehrere Wurzeln. Wenn wir diese kennen und den Mechanismus begreifen, ist es möglich, Ängste aufzulösen und erst gar nicht entstehen - zumindest nicht anwachsen - zu lassen. Hiermit beschäftigt sich dieser Artikel.

Gehen wir also Schritt für Schritt vor.

 

Angst und die Polarität des Lebens

 

Es ist Tatsache, dass das Leben in dieser Welt unausweichlich seine zwei Seiten hat: groß und klein, warm und kalt, leicht und schwer, hell und dunkel, usw. Alles hat seinen Gegenpol. Beide Pole bilden -  zusammen mit allen Abstufungen dazwischen - das ganze Leben.

 

Eine Wurzel der Angst ist, wenn wir ausschließlich nur die helle, starke Seite des Lebens akzeptieren und den anderen Pol ablehnen - das Schwierige, Unangenehme, Unsichere. Da der Gegenpol wie eben gesagt zum Leben dazu gehört, sagen wir - wenn wir diesen einfach nicht wahrhaben wollen - ein 'Nein' zum Leben in seiner Gesamtheit. Das ruft Angst hervor.

Das will heißen: Akzeptieren wir nicht auch das Schwierige und Unangenehme als selbstverständlich zum Leben gehörend und setzen uns darüber hinaus nicht aufrichtig und interessiert damit auseinander, dann entstehen Blockaden in der Lebensentfaltung. Wird der sogenannte negative Pol verdrängt, löst er sich nicht einfach auf und verschwindet, sondern seine Auswirkungen wandern in den Untergrund bzw. ins Unbewusste, von wo aus sie weiter ihre Wirkungen entfalten und ihre Störwellen subtil an die Oberfläche des Lebens senden. Bei psychischen Konflikten bedeutet das, dass sie aus dem Unterbewusstsein unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen, ohne dass wir dies bewusst merken. Auf diese Weise entstehen dann schwierige Situationen, deren Ursache uns ein Rätsel ist.


Wenn wir den Verdrängungszustand dauerhaft aufrechterhalten, kann sich die ihm innewohnende Kraft mit der Zeit intensivieren, ohne dass wir die eigentlichen Zusammenhänge noch erkennen können, mit deren Symptomen wir zu kämpfen haben. Ein ganz einfaches Beispiel ist „heruntergeschluckter“ Ärger. Er rumort im Untergrund und explodiert dann irgendwann unangemessen in einer Situation, in  die er überhaupt nicht hinein gehört.

 

Auch verdrängte Angst summiert sich mit der Zeit. Durch die Verdrängung ist sie nicht verschwunden. Im Gegenteil: sie wird im Unbewussten zum Nährboden für weitere Angst. Das Ausmaß kann so groß werden, dass die Angst unvorhergesehen zu vollkommen ungünstigen Zeitpunkten an die Oberfläche drängt, z.B. in Form von nicht verstehbaren Panikattacken, oder sie macht sich durch unterschwelliges permanentes Angstempfinden bemerkbar, das das gesamte Leben ausbremst.

 

Wenn sich zu viel Angst anhäuft, haben wir irgendwann auch Angst vor der Angst.

 

Je mehr wir versuchen der Angst auszuweichen, desto mehr führt sie uns in innere und äußere Blockaden und macht sich bemerkbar, indem sie sich andere Kanäle sucht, durch die sie sich äußert,  z.B. als Aggressivität, körperliche Erschöpfung, depressive Verstimmung, Schlafstörungen, psychosomatische Erkrankungen oder als Süchte in vielerlei Formen.

 

Unbewusste Konflikte und ebenso auch Ängste können nur aufgelöst werden, wenn wir sie hervorholen, damit wir sie uns anschauen können. Wir können mit etwas nur umgehen, wenn es sichtbar vor uns liegt. An unsichtbaren Dingen können wir nicht arbeiten. Nachdem wir uns den Ängsten also zugewandt und sie soweit als möglich verstanden haben, können wir sie loslassen.  Deshalb ist es so wichtig, nicht vor der Angst davonzulaufen.

Sich diesem Prozess zu stellen ist zwar nicht immer leicht, vorallem wenn es sich um massive Ängste handelt. Denn wen die Angst erst einmal völlig in ihrem Würgegriff hat, den lässt sie so schnell nicht mehr los. In diesem Fall ist es unumgänglich, sich professionelle Hilfe zu holen. Wir sollten uns dann davor aber nicht scheuen, sondern uns bewusst machen, dass wir große Befreiung und einen ungemein hohen Gewinn für ein erfüllendes Leben daraus ziehen können, wenn wir uns bewusst auf den Weg machen, uns von der Angst zu befreien, nötigenfalls mit fachkundiger Hilfe.

 
In der therapeutisch-beratenden Arbeit lässt sich immer wieder feststellen:  Wer sich wirklich von Angst befreien will, der kann es in der Regel auch schaffen. Ab und an kommt es vor, dass Ängste bei Menschen derart tief liegen, dass sie sich nicht von ihnen lösen können. Immer wieder ist aber auch dies zu beobachten:  Dass Menschen zwar einerseits die Angst nicht mehr wollen, aber andererseits die Mühe und Geduld scheuen, die damit verbunden ist, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Es ist für sie bequemer an der Angst festzuhalten. Sie haben sich schlichtweg an sie gewöhnt. So paradox das klingt: In diesen Fällen gibt die Angst diesen Menschen eine – wenn auch vermeintliche - Sicherheit. Es ist teilweise die Symptomatik der Angst selbst, die zu dieser grotesken Einstellung führt:
Es gibt eine Angst davor, die Angst aufzugeben. Und auch hier können wir wiederum erkennen, dass Angst der Entfaltung des Lebens entgegenwirkt. Wer jedoch die feste Entscheidung trifft: „Ich will da durch“, der wird die Erfahrung machen, dass hinter der Angst noch etwas Stärkeres liegt:  Da läßt sich sich Mut finden und die unbändige Freude am Leben und die Lust darauf, das Leben zu gestalten.

 

Es hilft also nicht, die Angst zu verdrängen, damit wir sie nicht spüren. Es führt nicht weiter, ihr auszuweichen, sie zu leugnen, sie zu betäuben oder sie auf die Dauer mit Medikamenten wegzudrücken. Mut, Vertrauen, Hoffnung und Glauben sind Eigenschaften, auf die wir uns ausrichten können, um Angst zu überwinden. Um diese Gegenkräfte in ausreichendem Maß hervorrufen zu können, ist es gewinnbringend, sich erst einmal die Mechanismen und die Struktur der Angst genauer anzuschauen und sie zu begreifen.

 

Grundsätzliche Aspekte der Angst

 

Wenn wir die Funktionsweise der Angst zu analysieren beginnen, müssen wir erstaunt feststellen: so eindeutig sie für uns spürbar ist, so vielschichtig ist sie, wenn wir sie verstehen wollen.  

 1. Angst lässt sich nicht gänzlich vermeiden:  

 

Angst ist erfahrungsgemäß ein ständiger Begleiter unseres Lebens, ein immer wiederkehrendes, zentrales Erlebnis der Menschheit. Sie ist ein Grundphänomen des Lebens, ebenso wie es die Liebe ist in allen ihren Ausformungen. Liebe will das Leben erhalten und fördern. Sie sagt ‚Ja‘ zum Leben. Angst jedoch sagt ‚Nein‘ und stört und zersetzt Leben. Wut und Hass sind Folgen von Angst. Sie sind sekundär und sind Abwehr- und Verteidigungsmechanismen, die aus Angst heraus entstehen. Liebe und Angst sind die beiden großen Grundkräfte, die unser Leben bestimmen. Angst völlig aus der Welt verbannen zu können, ist eine Utopie. Es ist aber durchaus möglich, sie auf ein Minimum zu reduzieren. Und darum sollten wir uns kümmern. Denn Angst schränkt nachweislich die intellektuelle Lernleistung ein und blockiert Neugier und Erkundungsverhalten und somit Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Lebens. Sie  beeinträchtigt das Selbstwertgefühl.  Sie ist ein Schatten, der alles blockiert: unsere Liebe, unsere wahren Gefühle, unser Glück, unser ganzes Sein. Sie treibt uns in die Enge (das Wort Angst hängt mit dem Wort Enge zusammen). Wer sich in die Enge getrieben fühlt, reagiert nicht selten mit Projektion von Negativität auf andere und unter Umständen mit Gewalt.

 

2. Wann setzt Angst ein und was geschieht in diesem Moment?  

 

Angst taucht unvermittelt auf, wenn etwas passiert, auf das wir keinen direkten Einfluss haben oder zu haben scheinen. Verbunden damit ist, dass wir glauben, dass ein Verlust, Schaden oder Misserfolg unausweichlich eintreten wird. Angst tritt auf, wenn wir etwas als bedroht sehen, das uns sehr wertvoll ist. Sie kann sich auf unseren Körper beziehen - entweder auf seine Gesundheit oder überhaupt auf seine Existenz. Die Ängste können materielle Werte betreffen, Beziehungen zu für uns wichtigen Menschen, Situationen, Pläne, Ziele, usw. Grundsätzlich gilt für Angst, dass sie ohne Ausnahme den negativen Ausgang der Situation festlegt. Das heißt, wir rechnen damit, dass ein Verlust oder Nachteil eintreten wird und dass wir keine angemessenen Reaktionen zur Verfügung haben werden, um das negative Ergebnis abwenden zu können. Daraus können wir ableiten, dass Angst immer auf Zukünftiges gerichtet ist, auf die ganz nahe Zukunft, also auf den allernächsten Moment, bis hin auf Situationen, die weit weg in der Zukunft liegen. Angst bezüglich Vergangenem gibt es nicht. Angst vernebelt den Verstand, sodass die Vorstellung, dass sich neben dieser negativen Vorwegnahme des Ergebnisses auch noch andere, positive Entwicklungsmöglichkeiten ergeben könnten, vollkommen ausgeblendet ist. Angst ist somit eine einseitige gedankliche Vorwegnahme. „Gedanklich“  bedeutet, dass Angst im Kopf beginnt, auch wenn wir ihre Auswirkungen vorrangig körperlich spüren. Diese Tatsache stellt einen äußerst wichtigen Ansatzpunkt dar, um Angst im Vorfeld ausschalten zu können. Dazu später mehr.

 

3. Auslösende Quellen: 

 

Angst hat zwei auslösende Quellen. Entweder wir reagieren auf Ereignisse, die von außerhalb auf uns zukommen oder auf ungelöste Konflikte, die in unserem Inneren bestehen. Letztere sind z. B. sich widersprechende Bedürfnisse, einander entgegengesetzte Gefühle, Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung aufgrund von nebeneinander gleichwertig existierenden Wertsetzungen.

 

4. Zeiträume des Auftretens von Angst: 

 

Angst entsteht entweder einmalig in einer einzelnen  Situation oder sie wiederholt sich in speziellen Situationen regelmäßig. Sie kann sich auch unvermittelt in Form von Panikattacken äußern. Bei manchen Menschen zeigt sie sich in einer grundsätzlichen, konstanten Hintergrundschwingung, die sich diffus hin und her bewegt und alle Situationen des Lebens mehr oder weniger durchdringt.  Durch solche chronischen Angstzustände können komplette Lebensentwürfe blockiert werden.

 

Angst kann sich aber auch in besonderen, zeitlich begrenzten Lebensphasen verstärkt zeigen oder bei Lebensumbrüchen, wenn über lange Zeit Gewohntes zu einem Abschluss kommt und Neues, noch Unbekanntes  ansteht; z. B. die eigene erste Wohnung (Verlassen des Elternhauses), Arbeitsplatzwechsel, Heirat, Eintritt ins Rentenalter u.v.a.

 

5. Formen der Angst: 

 

Angst nimmt die unterschiedlichsten Formen an. Sie  verbirgt sich hinter sehr vielfältigen Masken, sodass wir nicht immer unmittelbar erkennen und wahrnehmen können, dass Angst mit im Spiel ist. - Daneben gibt es Menschen, die  bewusst die Gefahr suchen, um damit ihre Ängste abzuwehren, ihnen zuvorzukommen,  damit sie sie nicht spüren müssen.

 

6. Angst und Furcht: 

 

Angst wird häufig mit Furcht gleichgesetzt. Oder es werden beide Begriffe unterschieden in der Weise, dass Angst mehr allgemein und übergreifend gesehen wird und Furcht ein klares Ziel hat. Wir haben Furcht ‚vor‘ etwas, wie z.B. Furcht vor Spinnen, Furcht vor dem Fliegen, Furcht vor der  Reaktion eines Menschen. Manchmal wird unklare Angst auch vom Unterbewusstsein in Furcht ‚vor‘ etwas umgewandelt. Dadurch können wir besser mit ihr umgehen, da wir „den Feind im Auge haben“. Das bedeutet in diesen Fällen,  dass hinter der Furcht vor etwas Speziellem, Angst in einem größeren Zusammenhang stehen kann. Das ist oft bei speziellen Phobien der Fall, z.B. Furcht vor dem Fahren mit dem Aufzug, Angst vor einer besonderen Tierart, usw.

 

7. Angst und Schmerz:  

 

Angst und körperlicher Schmerz liegen eng beieinander. Körperlicher Schmerz zeigt an, dass in unserem Körper Fehlfunktionen bestehen; Angst deutet auf Ungleichgewichte im seelischen Bereich  hin. Bei körperlichem Schmerz sind wir darauf aus, ihn so schnell wie möglich loszuwerden, um frei, unbeschwert und kraftvoll unser Leben weiterleben und genießen zu können. Ist das bei Ängsten auch so? -  Anscheinend ist Angst für uns so selbstverständlich, sodass wir ein großes Stück weit daran gewöhnt sind, mit ihr zu leben. Sie scheint ein unvermeidliches Übel zu sein. Wollen wir körperlichen Schmerz grundsätzlich beheben und nicht nur die Symptome dämpfen, wird der Arzt nach der Quelle suchen, die den Schmerz auslöst. Wollen wir unsere Ängste loswerden, sollten wir ebenso versuchen herauszufinden, wo ihre Ursache liegt. Möglicherweise benötigen wir hier fachliche Hilfe. Das sollte genauso selbstverständlich sein, wie zum Hausarzt zu gehen.  Indem wir das tun, befreien wir uns von Blockaden, sodass  wir uns nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf psychischer Ebene freier und unbeschwerter durchs Leben bewegen können. Es kann  dann m e h r  aus uns und mit uns werden – also mehr aus unserer Persönlichkeit und mehr aus unserem gesamten Leben  Ja, wir sollten uns ebenso engagiert um unser Wohlergehen kümmern, wenn wir es mit Ängsten zu tun haben, wie wenn uns körperlicher Schmerz zu schaffen macht.

 

8. Verhaltensmöglichkeiten bei Angst: 

 

Um mit Angst umzugehen, stehen uns vier verschiedene Verhaltensweisen zur Verfügung: Flucht, Angriff, Erstarrung, besonnenes Handeln.

 

9. Symptome der Angst:   

 

Wie ich vorhin schon kurz erwähnte, beginnt Angst im Kopf durch Gedanken und durch  Prägungen aus der Vergangenheit (aus Erinnerungen).  Darauf folgen emotionale und körperliche Reaktionen. Die körperlichen als auch die seelischen Symptome, die von Angst ausgelöst werden,  sind sehr vielfältig. Auch wenn sie keinem fremd sind hier einige von ihnen: 

 

Körperlich: Herzrasen, beschleunigte Atmung aber auch Atemnot, Schweißausbrüche, Halszuschnüren und Sprachprobleme, Zittern, Herzbeschwerden, Störung von Blasenfunktion und Verdauung, Schwindel, Bluthochdruck, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit aber auch Heißhunger, gestörte Sexualfunktionen, Muskelverspannungen und einiges mehr.

 

Seelisch-emotional: Gefühl von ständigem bedroht sein, starke bis überstarke Sicherungstendenzen, Fluchttendenzen, chronische Sorge, Nervosität, Unruhe, Fahrigkeit, Aggressivität, Entscheidungsschwäche, fortwährendes Kränkeln, Weinerlichkeit, schnelle Ermüdbarkeit und allgemeines Schwächegefühl, Mut- und Hoffnungslosigkeit. Grübeln über Vergangenheit und bzgl. Zukunft und vieles Weitere mehr.

 

10. Ängste als Folge von rein körperlichen Erkrankungen: 

 

Es kann auch vorkommen, dass Ängste bzw. Angstzustände ihre Ursache in rein körperlichen Erkrankungen haben. Eine psychotherapeutische Behandlung würde hier keine Ergebnisse erzielen. Mit der medizinischen Behandlung der Grunderkrankung verliert sich auch die Angst wieder. Beispiele für organische Erkrankungen, die undefinierbare Ängste hervorrufen, sind z. B. Erkrankungen des Herzens und der Schilddrüse,  Entgleisungen im Hormon- und Stoffwechselhaushalt. Etwas anderes ist es, wenn wir uns Sorgen machen um die äußeren Umstände und um die Zukunft, weil bei uns eine schwere Erkrankung festgestellt wurde. - Manchmal können Ängste auch als Nebenwirkung von Medikamenten auftauchen und häufig bei Drogenmissbrauch.

 

11. Ängste als klinisch definierte Störungsbilder: 

 

Als pathologisch psychische Störungsbilder definiert sind folgende Ängste: Die generalisierte Angststörung; Panikstörungen, speziell die  Agoraphobie, bei der der Betroffene sich letztlich nicht mehr aus dem Haus wagt; die Posttraumatische Belastungsstörung, Phobien aller Art. Die Soziale Phobie – die Befürchtung vor negativer Bewertung durch die Mitmenschen – ist sehr häufig und sehr vielen Menschen aus eigener Erfahrung bekannt, ohne dass sie unbedingt gleich als pathologisch betrachtet werden muss. Es kommt jedoch auf den Ausprägungsgrad an, der sehr stark variiert. Diese massiven Ausprägungen von Angst gehören unbedingt in die Hände von professionellen Begleitern. Sie können alleine kaum gelöst werden. Hier sollte man sich genauso wenig schämen, sich psychotherapeutische Hilfe zu holen, wie wenn man wegen einer körperlichen Erkrankung zum Arzt geht. Eine rein medikamentöse Behandlung kann zwar stützend gegeben werden. Sie hilft aber nicht, die Wurzeln der Angst aufzulösen. 
Auch parallel zu manchen anderen psychischen Belastungen können Ängste auftreten; z.B. bei  Depressionen.

 

12. Individuelle Ängste:  

 

Darüber hinaus hat jeder von uns ganz individuellen Ängste, die aus der persönlichen Lebensgeschichte und der momentanen Lebenssituation resultieren. Prägungen und Erlebnisse in der Kindheit formen sowohl die individuelle Angstbereitschaft als auch die Angstinhalte. So basieren viele Angstzustände in der Gegenwart auf Erlebnissen, die schon längst vorüber sind und im Hier und Jetzt eigentlich keine Bedeutung mehr haben.
Unsere charakterliche Grundstruktur spielt ebenso eine Rolle, hinsichtlich des Ausmaßes unserer Angstbereitschaft. Manche Ängste haben wir auch  nur abgeschaut - also gelernt - von unseren Eltern oder anderen wichtigen Menschen in unserem Leben, weil sie selbst darin gefangen waren und sie sie uns dadurch vorlebten.

 

Letzteres ist wieder ein Beispiel dafür, dass der Kopf eine Rolle spielt für das Entstehen von Angst, indem  wir Überzeugungen anderer Menschen ungeprüft übernommen haben. Darüber hinaus ängstigt sich in ein und derselben Situation der eine, ein anderer jedoch nicht.

 

13. Gefühle und Angst:  

 

Ein kaum zu unterschätzender, angstauslösender Aspekt stellen unsere verdrängten Gefühle dar. Auch wenn sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten einiges diesbezüglich verbessert hat, ist es in unserer verstandesbetonten Gesellschaft und insbesondere in der Arbeitswelt wenig oder auch überhaupt nicht erwünscht, Gefühle zu zeigen. Es geht darum, möglichst gut zu „funktionieren“  und dabei sind Emotionen hinderlich, wie die Überzeugung unausgesprochen lautet. Und so beginnen bereits ganz früh in der Erziehung der Kinder die Abwertung und das Zurückdrängen der Gefühle zugunsten des Vernunftdenkens, sodass sehr viele Erwachsene kaum mehr Zugang zu ihrer Gefühlswelt haben und sich sogar vor ihr fürchten, da sie sie unbewusst als etwas Verbotenes empfinden. Letzteres zeigt sich immer wieder deutlich in der therapeutischen Arbeit, und es ist ein Prozess, der viel Geduld erfordert, bis die Betroffenen die Angst vor ihren Gefühlen loslassen und sie sie willkommen heißen können. Verdrängte, nicht wahrgenommene Gefühle sind Ursache für viele Schwierigkeiten und Blockaden im Leben und eben auch eine Ursache für Angst. Dabei geht es nicht nur um negative Gefühle.

 

14. Angst als sogenannte „gesunde“ Angst:   

 

In der Literatur über Angst wird sie durchweg als negativ erkannt bis auf zwei Ausnahmen. Es ist immer wieder zu lesen, es gebe auch eine sinnvolle, sogenannte „gesunde“ Form von Angst und Angst als Signal, das uns zur Persönlichkeitsentwicklung auffordert. Ich bin hier anderer Meinung. Ich empfinde es als sehr widersprüchlich und schädlich Angst an irgendeiner Stelle als positiv zu bewerten und das läßt sich auch begründen:

Was versteht die Literatur unter "gesunder" Angst? Es handelt sich hier um die Angst bei realen Gefahren; Angst als "Alarmsignal," das uns aktiviert, um uns zu schützen. Insofern ist hier die Angst ein biologischer Automatismus, der die Erhaltung des Körpers garantieren soll. Aber auch hier kann anders argumentiert werden, um der Angst nicht zu huldigen, was an dem folgenden Beispiel deutlich wird.

 

Generell ist zu sagen, dass das Auftreten von Angst natürlich ist, da sie ein Aspekt der Polarität ist und die Verdrängung von Angst, wie oben erläutert, schädlich ist. Aber wie wir in Folge mit ihr weiter verfahren, liegt an uns selbst.

 
Ich will meinen gegensätzlichen Standpunkt anhand eines anschaulichen Beispiels erklären.  Ich wähle hierfür die Situation, wenn ich bei einer Bergwanderung auf einem schmalen Pfad gehe und dicht neben mir der Berg steil in den Abgrund fällt. Normalerweise sagen wir, dass in einer solchen Situation Angst aufkommt. Aber ist das wirklich Angst? Was zuallererst einmal da ist, ist einzig und allein eine erhöhte  Bewusstseinslage, die von körperlichen Symptomen begleitet wird, die erhöhte Aufmerksamkeit ermöglichen und eine Bereitschaft herstellen zum schnellen Handeln. Diese spezielle Bewusstseinslage wird meiner Meinung nach fälschlich schon als Angst bezeichnet. Sie ist lediglich die Voraussetzung dafür, dass ich extrem wachsam bin, da ich weiß, dass diese Situation einen schädlichen Ausgang für mich haben könnte. An diesem Punkt besteht immer noch die Chance, dass ich unbeschadet die Wegstrecke hinter mich bringe.  Wenn jetzt als zweite Reaktion tatsächlich Angst hinzukommt, dann kann die Situation allerdings erst richtig heikel werden. Was geschieht denn, wenn Angst dazukommt? - Ich bleibe nicht beim neutralen, sachlichen Wissen um die Gefahr, sondern lenke meine Gedanken unwillkürlich immer mehr in Richtung des Szenarios eines möglichen Absturzes.  Ab diesem Zeitpunkt wird die Situation extrem gefährlich, da ich den Fokus hauptsächlich auf den negativen Ausgang lege, wie es Angst ja grundsätzlich tut. Dadurch werden die typischen Angstsymptome, z.B. Zittern, weiche Knie, angespannte Atmung, Fahrigkeit, usw. aktiviert, was mich in ein Gefühl der Kraft- und Hilflosigkeit treibt, also in die Schwäche. Ich begebe mich zusehens Schritt für Schritt an den Rand der selbsterfüllenden Prophezeihung. Wenn ich also immer an den Abgrund und den möglichen Absturz denke, dann steuere ich mich unwillkürlich in diese Situation hinein.  Angst vernebelt meine Sinne und vermindert meine Reaktionsfähigkeit.

 

Bleibe ich jedoch in der reinen Aufmerksamkeitshaltung und verhalten mich dadurch besonnen und konzentriert, so sind alle meine Sinne aktiv und ich kann dabei bewusst auf meine körperlichen Ressourcen zurückgreifen und sie dann zum Einsatz bringen. Ich richte meinen Blick auf ein sicheres Ziel oder auf den positiven Ausgang. Auf diese Weise wird meine Kreativität angeregt, sodass mir sinnvolle Lösungsmöglichkeiten für die heikle Ausgangslage einfallen;  Stärke und Stabilität werden mobilisiert, um die gefundenen Möglichkeiten umsetzen zu können. 

Als Ergebnis des geschilderten Unterschiedes sehe es als gefährlich an, diese primäre erhöhte Bewusstseins- und Aufmerksamkeitslage als Angst zu bezeichnen, dazu noch als „gesunde Angst“.  Allein schon das Wort ‚Angst‘ in einer solchen Situation zu denken oder auszusprechen, birgt die Gefahr in sich, sie zu aktivieren. Es schwächt uns und bringt unter Umständen einen Kreislauf in Gang, in den wir uns immer mehr hineinsteigern. 

Wenn wir den Zustand von erhöhter Aufmerksamkeit als einen solchen erkennen können und so auch bezeichnen, gelingt es uns eher, den Umschlagpunkt in die Angst zu erkennen und uns stattdessen auf das rettende Ziel auszurichten und uns auf unsere Ressourcen zu  besinnen. Insofern gibt es für mich keine „gesunde“ Angst. Es geht also um Besonnenheit anstelle von Angst. - Ich besinne mich sozusagen darauf, worum es mir eigentlich wirklich geht. Will ich abstürzen oder überleben? Die Angst sagt immer 'abstürzen, abstürzen, abstürzen, ...'. Die Besonnenheit aktiviert alle Sinne und Kräfte, um zu überleben. Wir können Besonnenheit sowohl trainieren als auch uns für sie entscheiden.

 

15. Angst als Herausforderung zur Persönlichkeitsentwicklung, Reifung und Wachstum:  

 

Die zweite Aussage, die in der Literatur zu finden ist und die Angst als positiv bewertet,  sagt, dass Angst uns zur Persönlichkeitsentwicklung herausfordere, wenn die Ursache eingefahrene, ungünstige Verhaltensmuster sind, die unser Leben stören. Auch diese Aussage will ich kritisch hinterfragen.  Sie beeinhaltet unterschwellig, dass wir an dieser Stelle für die Angst dankbar sein sollten, weil sie uns auf eine psychische Schieflage aufmerksam macht und uns, wenn wir die Chance wahrnehmen, zur Persönlichkeitsentwicklung herausforderte. 

In gewisser Weise gebe ich dieser Feststellung durchaus Recht. Dennoch empfinde ich hierbei die positive Haltung der Angst gegenüber als schädlich. - Warum? - Dass Angst auf diese Muster hinweisen kann, ist richtig. Dankbarkeit hierfür ist jedoch fehl am Platz. Das wertet die Angst wieder auf und manch einer nimmt sie dann einfach hin, weil es sich ja „nur“ um Persönlichkeitsentwicklung, also um eine  psychische Angelegenheit,  handelt. Er sieht sich dann gern als Opfer nach dem Motto: „Das ist halt so. Das ist normal. Da kann ich bei mir nichts machen.“  Nicht wenige Menschen können auch mit den Begriffen ‚Persönlichkeitsentwicklung, Reifung und Wachstum‘ nicht viel anfangen und fühlen sich davon nicht angesprochen.  Es ist auch immer wieder zu erleben, dass so mancher sich persönlich angegriffen fühlt, wenn man diese Begriffe erwähnt. ...

Ich möchte schlichtweg fragen: Sind wir für das Auftauchen von körperlichem Schmerz denn auch dankbar, weil er uns auf eine Schieflage im Körper hinweist? Bewerten wir sein Auftreten deshalb auch als positiv? Sind wir für den Schmerz dankbar??? In der Regel wollen wir ihn schnellstmöglich wieder loswerden und kümmern uns auch in der Mehrzahl der Fälle darum, dass die Ursache des Symptoms behoben wird. Entsprechend dazu würde es bezüglich der Angst bedeuten, auch schnellstmöglich nachzuforschen, was es mit ihr auf sich hat, um die Ursachen auflösen zu können und die Angst dadurch zu beseitigen, anstatt ihrem Auftreten einfach nur hinzunehmen. Die Gefahr, sich schicksalsergeben an angstvolle Zustände zu gewöhnen, ist recht groß und verursacht mindest genauso viel Lebenseinschränkung wie körperlicher Schmerz, wenn nicht sogar mehr.
 
Nochmals die Frage:  Sind wir bereit, uns ohne weiteres an körperlichen Schmerz zu gewöhnen? Die Mehrheit der Menschen wird das mit einem eindeutigen ‚Nein‘ beantworten. In Bezug auf Angst hingegen sind wir träge. In unserem Alltagsleben sind wir so sehr an Ängste gewöhnt, dass wir sie viel eher hinnehmen als körperlichen Schmerz, ohne zu erkennen welch begrenzende Auswirkungen sie auf unser Leben haben. Wir sind eher bereit, Einschränkungen unseres Lebens durch Ängste hinzunehmen, denn durch körperlichen Schmerz. Hinzu kommt die Scham, sich zu Ängsten zu bekennen.  Es ist heutzutage immer noch so, dass es uns wichtiger ist, uns um unseren Körper zu kümmern als um unser seelisches Wohlergehen. Psychische Schwierigkeiten zu haben, ist in unserer Gesellschaft immer noch zu großen Teilen ein Makel. Über körperliche Erkrankungen und Operationen wird häufig ausführlich und nicht selten mit einem unterschwelligen Stolz berichtet. Psychische Schwierigkeiten und Ängste werden versteckt.

 
Ich sehe es so:  Dass seelisches Ungleichgewicht so massiv wird, dass es zur Angst führt, ist genaugenommen tragisch und traurig genug. Besser wäre es sowohl auf  körperlicher als auch auf seelischer Ebene, wenn wir unser Leben von vornherein so achtsam und bewusst führen könnten oder würden, dass weder körperlicher Schmerz noch Angst als Hinweis auf eine Schieflage notwendig wären. Das ist aber nicht umfassend möglich. So sind Schmerz und Angst einzig Symptome, die Hinweis-Charakter haben. Die Betonung sollte jedoch nicht auf den Symptomen liegen, sondern wir sollten uns von dort aus  unverzüglich auf die Suche machen nach dem Ort, an dem die Ursachen zu finden sind. Wir sollten regelmäßig nicht nur körperliche Hygiene betreiben sondern auch seelische.

 

Um das Wesen der Angst noch besser verstehen zu können, ist es wichtig, noch einen speziellen Bereich  anzusehen. Hierbei handelt es sich um

 

Existentielle Grundängste und die grundsätzliche Existenzangst:

 
Mit dieser Sorte Ängste ist ein jeglicher Mensch konfrontiert sowohl als Kind wie auch als Erwachsener; im Erwachsenenleben allerdings in unterschiedlicher Intensität. Es sind Ängste, die insgesamt eine große Tragweite haben. Den existentiellen Grundängsten liegt letztlich eine einzige Angst zugrunde. Es ist die grundsätzlich Existenzangst oder anders ausgedrückt die Angst vor dem Tod. Genaugenommen können alle Ängste - auch die kleinen Alltagsängste - 'heruntergebrochen' werden auf diese eine Angst: Die Angst vor der eigenen Vernichtung. Da wir grundsätzlich erst einmal nicht einverstanden sind mit der Endlichkeit unseres Lebens, ängstigt uns jegliche Entwicklung, in der der geringste Verdacht enthalten ist  - häufig auf unbewusster Ebene -  sie könne uns in den Tod führen. 

 

Die Gegenkraft zur Todesangst ist der Lebenstrieb und - darin enthalten - der Selbsterhaltungstrieb. Letzterer ist unser stärkster Trieb. Sogar die Sexualität, die ebenso eine höchst lebensbestimmende Kraft ist, kommt dennoch zum Erliegen, wenn es ums pure Überleben geht.

 

Bei der Gruppe der existentiellen Grundängste ist bei drei Formen der Angst die Nähe zur Todesangst noch am deutlichsten erkennbar:

 

a: Trennungs- und Verlassenheitsangst, Liebesverlustangst; 
b: Angst vor zuviel Nähe
c: Angst vor der Entwicklung der eigenen Individualität (und damit vor ausgeschlossen/getrennt sein)

 

weitere existentielle Grundängste:

 

d: Angst vor Veränderung

 

e: Angst vor dem Endgültigen

 

f: Kontrollverlustangst

 

g: Autoritätsangst, Gewissens-/Schuld- und Bestrafungsangst

 

h: Selbstwertängste

 

i: Ängste bei Lebensübergängen (Verlassen des Elternhauses, Heirat, Ruhestand, Umzug, etc.)

 

Ohne den tatsächlichen Grund dieser Ängste – nämlich die Angst vor dem Tod - in einer konkreten Problemsituation zu ahnen (z.B. bei einem Partnerschaftskonflikt) ist bei genauerem Hinsehen die Nähe zur Todesangst doch auszumachen. - Die vielfältigen kleinen Alltagsängste lassen die Beziehung zur Todesangst nicht so ohne Weiteres erkennen. Sie  sind an der Oberfläche auf konkret sichtbare Problemkonstellationen bezogen, sodass die Verbindung zur grundsätzlichen Existenzangst erst einmal verdeckt ist. Wenn wir die Spur nach ihren Ursachen aber tiefer verfolgen, erkennen wir eine Spirale, die sich hinab bewegt bis zur Angst vor unserer Vernichtung. Wenn wir das einmal verstanden haben, können wir auch an dieser Stelle einen Ansatzpunkt finden, an dem wir die Angst grundsätzlich aushebeln können. Hierzu im Schlussteil mehr.

 
In den existentiellen Grundängsten ist die Verbindung zur Todesangst also noch am deutlichsten nachvollziehbar. Zunächst ist da meistens ein Gefühl von  e m o t i o n a l e r Vernichtung. In extremer Weise kann dieses Empfinden so stark werden, dass der Betreffende meint, daran sterben zu müssen. Oder aber er entwickelt in der ersten abgrundtiefen Enttäuschung die paradoxe Idee, selbst aktiv auch den körperlichen Tod suchen zu müssen, um dadurch der Schmach der Vernichtung durch eine oder mehrere andere Person(en) entgehen zu können.

Ein erheblicher Teil der existentiellen Grundängste hat mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun und können daher auch als Beziehungsängste bezeichnet werden. Ihre Ausprägung hat viel mit der Kindheitsentwicklung zu tun. Damals waren wir auf den Schutz, die körperliche Fürsorge und die emotionale Zuwendung durch die Erwachsenen unbedingt angewiesen, um wachsen und gedeihen zu können, ja, um überhaupt überleben zu können. Wir konnten es uns nicht leisten, die Liebe der Eltern zu verlieren. Für ein Kind bedeutet Liebesverlust die Gefahr, verlassen zu werden. An den Liebesverlust würde sich als nächstes anschließen: Isolierung, Schutzlosigkeit, Hilflosigkeit und die Gefahr alleine nicht zurechtzukommen. Am Ende steht die Möglichkeit des Todes. Diese Ängste werden wieder aktiviert, wenn Beziehungen schwierig werden oder zu zerbrechen drohen. Starke Beziehungsängste weisen häufig darauf hin, dass Kindheitserfahrungen noch nicht aufgearbeitet sind.

 

Angst vor Nähe hat damit zu tun, dass das Empfinden besteht, dass zu viel Nähe zu einem „Verschlungenwerden“ führen könnte, also zu einer vollständigen, dauerhaften Auflösung der eigenen Identität durch den Partner und somit auch zur Vernichtung.  
Angst davor, seine eigene Individualität zu leben, weist darauf hin, dass ein Mensch befürchtet, abgelehnt und aus der Gemeinschaft verstoßen zu werden, falls er zu sich selber steht.  Daraus würde gegebenenfalls auch wieder Isolierung folgen mit allen möglichen Begleiterscheinungen bis hin zum Tod.

 

Auch bei den weiteren Grundängsten geht es letztlich immer um die Todesangst:

 

Bei den sozialen Ängsten z.B. steht im Vordergrund, von anderen Menschen negativ bewertet und verstoßen zu werden. Die Angst redet uns ein, die Abwertung könne so massiv werden, dass wir dann von „Gott und der Welt“ verlassen wären  und uns diese Isolierung letztlich auch wieder in den Tod führen könnte.

 

Ich denke, bereits bis hierher wird deutlich erkennbar, in welchem Ausmaß Angst eigentlich unser Leben bestimmt und begrenzt, und auch, dass wir sie nicht immer bewusst wahrnehmen. Daraus können wir schließen, wie enorm wichtig es ist, Angst in ihrem Wesen zu verstehen, damit wir sie so weitreichend wie möglich identifizieren können.  Außerdem  wird nun verständlich, dass wir Angst nicht gewohnheitsgemäß akzeptieren sollten, wenn wir ein sinnvolles, erfüllendes und möglichst glückliches Leben führen wollen.

 

Theorien zur Entstehung:

 

Sowohl die Naturwissenschaften als auch die Geisteswissenschaften setzen sich mit dem Phänomen der Angst auseinander, um verstehen zu können, was es mit ihr auf sich hat und wie sie entsteht. So haben sich verschiedene Theorien entwickelt, wobei gesagt werden kann, dass keine die andere ausschließt, sondern jede Perspektive ihre Berechtigung hat. Die Theorien stammen u.a. aus der Evolutionsforschung, Neuropsychologie, Kognitionspsychologie, Tiefenpsychologie, der Entwicklungspsychologie des Kindes,  aus dem Bereich der Lerntheorien und aus der Philosophie. Genannt wird z. B., dass ungelöste Konflikte, frühere gefahrvolle Erlebnisse, auch Verhaltensweisen, die von anderen Menschen gelernt wurden, als auch irrationale, gedankliche Schlussfolgerungen, ebenso genetische und hirnphysiologische Gegebenheiten eine Rolle spielen. 
Auch die Religionen und spirituelle Lehren haben ihre Erklärungen bezüglich des Ursprungs von Angst.

 

Wieviel Angst ist wirklich nötig?

 

Wenn wir die erhöhte Bewusstheits- und Aufmerksamkeitslage in realen Gefahrensituationen nun - wie vorhin dargestellt - nicht mehr als Angst bezeichnen, und ihr Entstehen aufgrund einer körperlichen Erkrankung beiseite lassen, dann bleibt letztlich nur eine grundlegende Definition der Angst übrig: Angst als die gedankliche Vorwegnahme von ungünstigen Ergebnissen, in deren Folge sich körperliche und emotionale Symptome einstellen. Bei starken Angstzuständen greifen Denken, Fühlen und körperliche Folgeerscheinungen auf vielfältige Weise ineinander, sodass sie sich kaum noch voneinander getrennt wahrnehmen lassen. Wenn es erst einmal so weit gekommen ist, lässt sich die Angst mit dem Verstand, also gedanklich, kaum noch zu stoppen.

 

Insofern ist es wichtig, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, indem wir uns darin schulen, wachsam zu sein im HInblick auf das Entstehen von Ängsten und wir sollten nach ihren Ursachen zu suchen. Dabei gilt es, es sich immer wieder bewusst zu machen, dass die Entwicklung einer Situation nicht zwangsläufig so aussehen muss, wie die Angst uns das einreden will. Wenn wir genau hinsehen, können wir feststellen, dass die meisten Ängste letztendlich Fantasien und Einbildungen sind. In unserem Kopf spielt sich ein Gedankenprozess ab, der einem Horrorszenario in einem Film gleicht. Wir sollten daran denken, dass es noch andere Perspektiven gibt. Deshalb sollten wir uns nicht von der 'Filmhandlung' völlig aufsaugen lassen und es uns nicht gestatten, dass  Angst  in uns Platz nimmt. Wir sollten ihr nicht ungeprüft das glauben, was sie uns einflüstert. Angst ist manipulierendes ‚Kopf-Kino‘.  Deshalb können wir mehr gegen sie unternehmen, als wir ahnen, indem wir immer mehr lernen, die Angstbilder als Film zu identifizieren, aus dem wir jederzeit aussteigen können. Und indem wir uns angewöhnen, uns gleichzeitig daran zu erinnern, dass es neben der Film-Story eine Realität gibt, in der auch noch andere Entwicklungsmöglichkeiten existieren.

 

Angst ist also nicht notwendig. Sie wendet  n i c h t  die Not.

 
Wir können nach allem Gesagten feststellen: Angst wendet nicht die Not, sondern sie verstärkt sie. Angst ist ein weit verbreitetes Übel. Wir sollten uns nicht an sie gewöhnen. Sie ist, um ein glückliches Leben zu finden und zu gestalten, schlicht und einfach hinderlich. Ich selbst habe viele Ängste durchkämpft, bis ich zu dieser heilsamen Einsicht gelangen konnte. Wir müssen nach der Stärke in uns suchen, die in einem jedem von uns vorhanden ist, und mit ihr weitergehen mit dem Blick auf die positiven Entwicklungsmöglichkeiten im Leben.

Der Widerstand, der häufig dieser These entgegen gesetzt wird, lautet: „Ja, aber da ist doch gerade dieses und jenes und das ist einfach beängstigend. Es ist eben einfach so; da kann ich nichts machen.“  Wenn wir so tatsächlich denken wollen, dann wird es auch so sein: Wenn wir der Angst Macht über uns geben, dann kann sie uns packen. Und wenn sie das einmal umfassend geschafft hat, nützt, wie schon gesagt, aller Verstand nichts. Dann sind wir ihr erst einmal vollkommen ausgeliefert. Deswegen sollten wir uns in angstfreien Zeiten grundsätzliche Gedanken über sie machen, wozu dieser Beitrag anregen soll. Wenn wir das Wesen der Angst einmal verstanden haben, können wir ihr, wenn sie auftaucht, wesentlich kraftvoller entgegentreten als vorher. Sie kann sich dann unserer nicht mehr in einer Weise bemächtigen, die uns im wahrsten Sinne des Wortes den Verstand raubt. Wir sollten uns insgesamt um ein achtsames, bewusstes Leben bemühen, um Ängsten keinen Nährboden zu geben.

 

Und nochmals: Die häufige Nachlässigkeit, durch die wir der Angst zu viel Raum in unserem Leben geben, beruht  darauf, dass wir dermaßen an sie gewöhnt sind, dass sie zu einer Selbstverständlichkeit  geworden ist  und sie uns deshalb - so widersprüchlich es klingt - damit ein eine Form von Identität gibt. Wir können uns dann eine in weiten Strecken angstfreie Lebensperspektive kaum vorstellen. Ironisch gesprochen: “Wo kämen wir denn hin, wenn wir so gut wie keine Angst mehr hätten! Wären wir dann noch ‚normale‘ Menschen?“ 

Einer der Gründe für die Gewöhnung ist, dass unterschiedlichste Autoritäten - einzelne Menschen, Institutionen, Gruppierungen verschiedener Art  - über Jahrtausende hinweg Angst als Druckmittel eingesetzt haben. Sie tun es immer noch. Sie benutzen sowohl subtile als auch offene Drohgebärden und Einschüchterungsmaßnahmen. So manifestiert sich Angst als ein gängiges Lebensgefühl. Auch in der heutigen 'modernen' Erziehung wird noch zu Genüge unachtsam mit Angst gearbeitet. Ein kleiner Satz als Beispiel: „Wenn du jetzt nicht sofort gehorchst, dann hat Mami dich nicht mehr lieb.“ Das Benotungssystem in der Schule ist ebenso an Angst gekoppelt.

 
Aber, was tun wir denn eigentlich gegen die Angst?  -  Wir machen Überstunden, um ausreichend Geld zur Verfügung zu haben, um einen Teil unseres "Glückes" kaufen zu können, indem wir materielle Güter anhäufen. Wir rennen zu Ärzten, Masseuren und Physiotherapeuten, schlucken Medizin, suchen Fitnessstudios auf. Aber unsere Ängste nehmen wir schicksalsergeben hin. 

Angst zu haben kann auch ein recht bequemer Weg sein. Sich von Angst bestimmen zu lassen, kann ein Ausweichen vor den Erfordernissen des Lebens sein, ein Ausweichen vor dem Leben selbst.Wir wollen uns nicht die Mühe machen, uns dem Herausforderungen des Lebens zu stellen und versuchen uns mit dem Argument 'Angst' herauszureden. Uns in der Opferrolle zu sehen, ist einfacher und bequemer. Insofern übernehmen wir an dieser Stelle keine Verantwortung für unser Leben, wenn wir uns der Angst ausliefern. 

 
Was können und sollten wir also tun?

 

Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen: Wenn massive Ängste vorliegen oder wir das Gefühl haben, schon zu sehr in angstauslösende Probleme verstrickt zu sein, werden wir es kaum schaffen, uns alleine daraus zu befreien. Dann sind gezielte therapeutische Maßnahmen unumgänglich. Ich will für solche Situationen keine konkreten Sofortmaßnahmen und Heilverfahren schildern. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen und Methoden. Diese sind durch den Therapeuten zu erfahren. Wichtig ist mir hier, grundlegende Aspekte und Hinweise zu nennen, die uns helfen können, unseren Alltagsängsten allmählich eine Abfuhr zu erteilen, sodass sie überhaupt nicht die Chance bekommen, sich in umfassendem und tiefgreifendem Maße in unserem Leben einzunisten. Es geht darum, dem Auftreten der Angst und ihrer Ausbreitung vorzubeugen und Einhalt zu gebieten.

 

Hilfreiche Hinweise gegen die Angst

 

Gedanken über Tod und Vergänglichkeit:

 

Da uns nun bewusst ist, wie sehr alle Ängste mit der Todesangst verbunden sind, ist es von großem Nutzen, sich Gedanken über die persönliche Einstellung zu Tod und Vergänglichkeit zu machen. Wenn wir dahin kommen können, ruhig und gelassen den Tod zu akzeptieren als letzter Bestandteil unseres Lebens; wenn wir ihn nicht mehr aus unserem Leben ausgrenzen, kann dies mit der Zeit allen Ängste die kraftgebende Substanz entziehen. Der regelmäßige Blick auf den Tod soll uns nicht ängstigen, sondern soll Anlass dafür sein, unsere Lebenszeit bewusst wahrzunehmen und als wertvoll zu betrachten, um sie mutig, kraft- und sinnvoll zu gestalten, solange es möglich ist. Und hierbei ist die Angst nur hinderlich. Auch die Vergänglichkeit in allen Situationen des Lebens zu akzeptieren, verhindert, dass die Angst Anknüpfungspunkte findet.

 

Kopf-Kino Angst:

 

Ein ganz entscheidend wichtiges Hilfsmittel ist, uns immer wieder deutlich zu machen, dass die Angst weitgehend „Kopf-Kino“ ist.  Es geht darum, wenn Angst zu spüren ist, ihr nicht einfach vorbehaltlos zu folgen, sondern innezuhalten - regelrecht einen Stopp zu setzen - und in sich hineinzuspüren, um den Film, der da läuft, zu identifizieren. Als nächstes sollten wir uns um eine realistische  Sichtweise  bemühen und unmittelbar nach einer positiven Gegenperspektive Ausschau halten. Es gibt keine Regel, die besagt, dass ein Ereignis, das derzeit auf seine Realisierung wartet, automatisch eine negative Richtung nehmen muss. Der negative Ergebnis existiert nur als Möglichkeit in den Gedanken. Also sollten wir auch eine positive Entwicklung in Betracht ziehen. Dann steht es bezüglich des Ausgangs zumindest  50:50 und wir können die Angelegenheit entspannter angehen.

 

Wir sollten auch grüblerische Gedanken bezüglich der Zukunft vermeiden. Sie öffnen der Angst die Türen. Zielsetzungen für die Zukunft sind wichtig. Aber dann sollten wir uns jeden Tag immer wieder hauptsächlich darauf fokussieren, was in der Gegenwart zu tun und möglich ist.

 

Dialog mit sich selbst:

 

Eine Möglichkeit, Ursachen von Ängsten auf die Spur zu kommen, kann ein mitfühlender Dialog mit sich selbst sein. Wenn wir Angst aufsteigen spüren, reden wir mit uns wie mit einem Kind oder wie mit Freund oder Freundin: „Da ist Angst. Meine Liebe/mein Lieber, was ist mit dir? Was macht dir so zu schaffen? In welchem Konflikt befindest du dich gerade. Wie sieht er aus? Was arbeitet da gerade in dir? Was verunsichert dich?“ Dabei hilft es, gegenüber sich selbst der Angst einen Namen zu geben, sie zu benennen und dies durchaus laut auszusprechen. Wenn wir etwas laut aussprechen, können wir es deutlicher wahrnehmen. Es "nebelt" dann nicht mehr diffus in unserem Kopf herum. Es steht klarer vor uns. Dadurch können wir besser damit umgehen.

 

Suche nach gelungenem Leben:

 

Lohnenswert ist es, sich an bisherige Lebenssituationen zu erinnern, deren Ausgangslage schwierig war und die dennoch - durch unsere Beteiligung oder auch von alleine - eine gute Entwicklung genommen haben. Des Weiteren sollten wir uns auch offen und ehrlich diejenigen Situationen vor Augen führen, bei denen Ängste überflüssig waren, weil die von ihnen prophezeiten negativen Folgen nicht eingetreten waren. Beides kann uns beruhigen und Mut und Hoffnung geben.

 

Das eigene Leben leben:

 

Angst kann auch viel damit zu tun haben, dass ich zu wenig mein eigenes Leben lebe; meiner Identität und meiner Individualität zu wenig Entfaltungsraum zugestehe.  Dass ich mich zu sehr nach anderen Menschen ausrichte, mich abhängig von ihnen und ihrem Urteil mache. Dass ich mich zu sehr auf sie beziehe;  dass ich zu sehr mein Glück durch sie erhoffe. Dadurch gebe ich mich ein ganzes Stück weit selbst auf. Unbewusst erinnert mich diese Aufgabe meiner eigenen Identität an Auslöschung. Das macht Angst. 

Ähnlich ist es, wenn ich mich selbst zu wenig kenne, wenn ich zu wenig weiß, wer ich eigentlich bin, was ich tatsächlich kann, fühle, denke, wünsche. Dann ist da eine Leere in mir, in die Ängste hineinwuchern können. Normalerweise meinen wir zu wissen, wer wir sind. Wenn dann aber etwas tiefer nachgefragt wird, fehlen schnell die Antworten. Wenn ich mir meiner selbst nicht sicher bin, mich nicht in mir selbst sicher fühle, bin ich mit mir selbst nicht ausreichend verbunden und habe weder Vertrauen in mich und bin misstrauisch gegen die Welt. Auch das macht Angst.

Mit sich selbst verbunden zu sein, führt in die eigene Stärke und vermindert so die Angriffsfläche für Angst. Mich auf die Suche nach mir selbst zu machen, nach Selbsterkenntnis zu streben, führt zu einem stabilen Selbstgefühl, zu Selbstvertrauen und zu Selbstgewissheit. Meinen eigenen Weg zu gehen, mein Eigenes zu leben, gibt meinem Leben inneren Halt und Sinn und vermindert die Bereitschaft zur Angst.

 

Den Rhythmus des Lebens erkennen und anerkennen:

 

In den Jahrzehnten, in denen die Technik sich in rasantem Tempo entwickelte, haben wir neben der natürlichen Welt eine künstliche Parallelwelt erschaffen, die unseren heutigen Alltag bestimmt. Die Natur hat weitgehend nur noch eine sekundäre Bedeutung als Erholungswert. Ansonsten dient sie zur Produktion von Nahrungsmitteln und zur Lieferung von Bodenschätzen und sonstigen Materialen, die wir weiterverarbeiten. Wir haben uns zum größten Teil aus ihrem Rhythmus herausgenommen und uns unseren eigenen geschaffen. Wir arbeiten nachts, schlafen teils tagsüber, verbringen viel Zeit in virtuellen Welten, bewegen uns verhältnismäßig wenig, halten uns hauptsächlich in geschlossenen Räumen auf; wir essen unregelmäßig und ungesund - nur um ein paar Beispiele zu nennen. Unser Körper konnte dieser Entwicklung bislang nur oberflächlich folgen. Tief in unseren Zellen ist noch weitgehend die natürliche „Takt“frequenz abgespeichert. So existieren wir in zwei Welten mit unterschiedlichen Rhythmen.  Auch der Spagat zwischen diesen beiden Welten ist ein Nährboden für Angst. Tief in uns spüren wir noch die Verbindung zur Natur und zu ihren ausgewogenen Rhythmen und unser Bedürfnis danach. Auf der anderen Seite leben wir in einem gegensätzlichen äußeren Rhythmus. Wir dürfen uns nicht wundern, dass in infolgedessen die medizinischen und psychotherapeutischen Praxen voll und Termine erst nach einigen Wochen zu erhalten sind.

 

Es gilt, das eigene Leben daraufhin zu durchsuchen, an welchen Stellen es möglich ist, den natürlichen Prozessen des Lebens etwas mehr Raum zu geben. Die Aussage „weniger ist oft mehr“ ist eine Lebensweisheit, keine bloße Floskel. Darauf könnten wir in unserer Freizeitgestaltung achten.

 

Termindruck schnürt uns das Lebensgefühl ab und das macht auf die Dauer Angst.

 

Entscheidung gegen die Angst:

 

Eine sehr kraftvolle Maßnahme ist die radikale und konsequente Entscheidung, Angst nicht mehr zuzulassen. Es gelingt jedoch meistens erst, wenn Wesen und Wirkmechanismus der Angst begriffen worden sind.  Es geht hier darum, sich von seiner Angst nicht mehr alles gefallen zu lassen und – eine Stufe weiter – sich eben prinzipiell gegen sie zu entscheiden, sobald zu spüren ist, dass sie sich anschleicht: Ich mache mir bewusst, dass Angst da ist und nehme sie aber nicht mehr wichtig. Ich bleibe besonnen, konzentriere mich auf meine Stärke und richte mich auf eine positive Entwicklung aus.

 

Die Vorstellung, sich erfolgreich gegen Angst entscheiden zu können und ihr nicht hilflos ausgeliefert zu sein, mag zunächst befremdlich wirken. Aber es ist möglich. Das habe ich selbst ausprobiert und geübt. Und ich habe Erfolg damit. 
Unser ganzes Leben besteht aus einer permanenten Folge von Entscheidungen. Wir treffen große und bewusste Entscheidungen und kleine unbewusste. Nutzen wir doch unsere Entscheidungskraft, die jeder Mensch besitzt, um uns gegen die Angst zu entscheiden.

 

Religion/Spiritualität:

 

Vergessen will ich nicht, dass in religiösen und spirituellen Lehren kraftvolle Unterstützung gegen die Angst gefunden werden kann, auch wenn hier - insbesondere in den institutionalisierten Religionen -  aber auch in manchen spirituellen Ausrichtungen im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende einiges fürchterlich schief gelaufen ist, weil Gurus und religiöse Institutionen Angst als Machtmittel benutzt haben.

 

Als letztes noch ein Aspekt:

 

Aus der Kraft der Liebe leben:


Neben den verschiedenen Formen der zwischenmenschlichen Liebe - Eltern-Kind-Liebe, partnerschaftliche Liebe, Geschwisterliebe, Freundesliebe, etc. -  gibt es die Liebe zur Natur, zu künstlerischem Ausdruck, zum Beruf und anderen Tätigkeiten.  Ebenso können uns spezielle Werte am Herzen liegen, wie z. B. Toleranz, Freundschaft, Humor, achtsamer Umgang mit anderen, Vertrauen, und anderes in dieser Richtung.

Wir sind uns oft dessen viel zu wenig bewusst, welche Bereiche uns wirklich wertvoll sind und dass wir sie deshalb lieben. Wir verwechseln Liebe viel zu häufig mit Lust. Lust ist unbeständig und kann sich schnell in Unlust verwandeln. Was ist es, das wir wirklich lieben? Was tun wir nur auf der Basis von Lust? Wenn wir uns bewusst machen, was wir wirklich lieben, was uns am Herzen liegt, wofür wir längerfristig unsere Lebenszeit und Energie einbringen wollen, können wir den Unterschied besser wahrnehmen und bekommen eine immer tiefere Beziehung zum Leben. Wir können Liebe bewusster spüren und sie dehnt sich dann fast von alleine aus auf weitere Bereiche. Es ist sogar möglich, dass es Bereiche betrifft, die wir zunächst ablehnten. 
Denken wir daran: Wo Liebe ist, kann Angst nicht sein.

Statt uns der Liebe zuzuwenden, bleiben wir schnell hängen bei dem, was gerade nicht geht, was wir gerade nicht haben. Wir schauen auf das, was nicht passt, auf die Unterschiede. Wir halten uns mehr bei der Energie der Ablehnung auf anstatt bei Zustimmung, Toleranz und dem Verbindenden. Dadurch eröffnet sich eine Negativspirale aus Groll und Unzufriedenheit, auch prinzipiell dem Leben gegenüber. In Folge neigen wir dazu, in eine Kampfhaltung zu verfallen. Kampf bedeutet letztlich Krieg. Wir fangen sozusagen an, gegen das Leben Krieg zu führen und damit auch gegen uns selbst. Krieg bedeutet Angriff und Angst. Somit fördert eine negative, unzufriedene Einstellung dem Leben gegenüber die Angst und bildet einen idealen Nährboden für sie.

 

Wir sollten uns mehr auf die Liebe besinnen und versuchen, sie in immer mehr Bereiche des Lebens fließen zu lassen. Dort, wo dies schwer fällt, kann es zunächst helfen, die Umstände, so wie sie sind, erst einmal bewertungsfrei anzuerkennen: "Es ist, wie es ist."
Damit würdigen wir auch die schwierige Seite des Lebens. Wir nehmen das Leben in seiner Gänze an, so wie ich es eingangs geschildert habe. Bewertungsfrei zu akzeptieren heißt nicht, dass wir Missstände schweigend hinnehmen sollen. Indem wir sie aber erst einmal anerkennen, wirken sie weniger bedrohlich und wir können leichter zu einer besonnenen Haltung finden, bei der wir uns mit mehr innerer Ruhe daran machen können, nach Lösungswegen zu suchen.

 
Den Blick für das Positive im Leben zu schärfen und für es dankbar zu sein, ist ein enormer Kraftspender, durch den wir Stärke finden, auch mit der Gegenseite besser zurechtzukommen, anstatt ihr mit Angst zu begegnen.

 

Die Liebe spricht immer  f ü r  das Leben,  Angst engt es ein und bremst es aus. 

 

Wenn wir immer mehr in alle Aspekte des Lebens unsere Liebe und ein mitfühlendes Gewahrsein fließen lassen, wird es versöhnlicher für uns. Wir können dann erkennen, dass das Leben uns genauso auch trägt und nicht nur bedrohlich ist. Wenn wir darüber hinaus auch der Vergänglichkeit des Lebens mit Liebe begegnen, können wir angstfreier durchs Leben gehen.

 

© Ruth Scheftschik, Ulm